Ihr habt Angst, und deshalb habe ich Angst

In wenigen Tagen wird in Berlin gewählt. Es wird meine erste Wahl sein – und ich habe Angst. Nicht Angst vor der Wahl an sich, oder dieser ach so großen Verantwortung. Nein, ich habe Angst davor, was andere wählen.

Lange Zeit war meine Meinung zum Wählen: Ich werde nicht wählen. Nicht, weil ich desinteressiert an Politik war, sondern einfach, weil ich nicht das Gefühl hatte, mich mit einer Partei angemessen identifizieren zu können. Zudem gehört zum Wahlrecht eben auch die Möglichkeit, nicht wählen zu gehen, egal ob willentlich oder aus erwähntem Desinteresse. Für mich ist das willentliche Nichtwählen genauso eine politische, meinungstragende Entscheidung wie das Wählen. Immerhin muss es der politischen Führungsschicht doch etwas sagen, wenn fünfzig Prozent der Bevölkerung eben nicht wählt. Das irgendetwas falsch läuft, wenn die Hälfte der Bevölkerung sich nicht dafür interessiert, wer die nächsten vier Jahre wichtige Entscheidungen für sie trifft. Aber scheinbar sagt es denen da oben nicht wirklich was, und so bleibt das effektive Nichtwählen eben doch nur eine nette, wünschenswerte, letztendlich etwas faule Illusion.

Ihr kennt doch sicher diesen Spruch: „Keine Stimme ist eine Stimme für die NPD“. Mein früheres Ich hat gesagt: Blödsinn. Keine Stimme ist eben keine Stimme, und die NPD profitiert davon prozentual gesehen genauso viel wie jede andere Partei. Zudem war und ist die NPD an tatsächlich erhaltenden Stimmen ja schon immer zu vernachlässigen gewesen. Ein paar rechte Spinner, die rumkrakeelen und ihre Demos organisieren. Unschön, aber in einer Demokratie muss man eben auch so etwas ertragen.

Nun gibt es aber einen neuen Spieler auf der Bühne der deutschen Politik, einen, der sehr schnell sehr groß, relevant und wichtig geworden ist. Die AFD. Und ich habe Angst. Ich habe Angst, wenn ich höre, dass sie in Mecklenburg-Vorpommern aus dem Stand 20,8 Prozent erreicht. Seitdem ertappe ich mich in der U-Bahn immer wieder bei dem Gedanken: Jeder Fünfte hier drin ist potenzieller AFD-Wähler. Und das macht mir Angst.

Ziemlich ironisch, wenn man bedenkt, dass Angst meiner Meinung nach der größte Grund ist, warum so viele Leute AFD wählen. Angst vor Ausländern und Flüchtlingen, Angst vor der weiter fortschreitenden Emanzipation der Frau, Angst vor dem generellen Aufbrechen klassischer Familienformen, Angst vor eigentlich allem, was anders und neu ist. Angst vor Fortschritt und Veränderung. Aber kann man den Grundsatz von Darwins Evolutionstheorie, dass der anpassungsfähigste überlebt, nicht auch auf gesellschaftlicher Ebene anwenden? Dass eine Gesellschaft, die sich nicht anpasst, eben mit der Zeit verkümmert und eingeht und von aktuelleren, aufgeschlosseneren und pragmatischeren Formen des Zusammenlebens verdrängt wird? Wieder und wieder und wieder sehen wir in der Geschichte der Welt Kräfte und Gruppen, welche den Fortschritt stoppen, zurückdrängen und aufhalten wollen. Da eben alles neue erst einmal beängstigend ist, da man es nicht kennt. Und statt sich darauf einzulassen, umklammert man lieber das alt geliebte und stellt sich stur. Und klassifiziert das neue, drückt ihm Stempel auf, negative, sucht nach selten wirklich existenten Gründen, warum dieses per se schlecht und nicht einfach eine simple Chance ist. Am Ende siegt zwar immer der Fortschritt, auch das scheint dann glücklicherweise menschliche Natur zu sein, doch oft ist der Preis dafür hoch und der Weg unnötig lang.

Und ein bisschen hasse ich mich selber dafür, da ich der dauernden Erinnerung selber überdrüssig bin, und es ein Vergleich ist, der meistens unangemessen ist, aber viele Menschen scheinen es eben doch wieder zu vergessen, die Lage in eben unserem Land vor 80 Jahren. So schlimm wird es hoffentlich nie wieder werden, aber es fühlt sich an, als würde es jeden Tag wahrscheinlicher. In ganz Europa sind die Rechten auf der Überholspur, und nun ziehen wohl auch wir nach. Könnt ihr verstehen, warum ich Angst habe?

Deshalb werde ich wählen. Ich habe meine Entscheidung getroffen, vielleicht wird sich mein Stimmenempfänger noch ändern. Ich denke aber nicht. Und euch bitte ich um eines: Denkt nach, bevor ihr überhaupt ein Kreuz macht, denkt nach, bevor ihr dies bei dieser Alternative, die eigentlich nur die Erhaltung oder sogar Zurücksetzung des Status quo bedeutet, macht, und denkt nach, ob ihr es bei einer anderen Partei macht. Aber ich glaube von tiefstem Herzen, das alles besser als die AFD ist, auch wenn es selbst nicht perfekt ist. Aber Fortschritt ist nicht durch Rückschritt zu erreichen.

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